Sofort griffen die Ringer einander an und wirbelten, ineinander verschlungen, über die Matte. War schon der Standkampf spannend und auf höchstem Niveau, so war der nun entbrennende Bodenkampf schlicht sensationell. Die beiden Gegner schenkten sich nichts. Beide schienen keinerlei Wert auf taktische Zurückhaltung zu legen, sondern rangen voll aggressiv, griffen ständig an und konterten einander aus. Die beiden jungen Athleten versuchten einander mit Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Einfallsreichtum zu überwältigen.
Ali und Florian lieferten sich im wahrsten Sinne des Wortes einen “Kampf auf Biegen und Brechen”: Mit einer Gelenkigkeit, die man eigentlich nur chinesischen Akrobatinnen zugetraut hätte, waren die beiden muskelstarken Teenager ineinander verknotet und verdrehten einander Arme, Beine und Leiber, im Bemühen, den Gegner auf die Schultern zu zwingen, oder um die eigene Schulterniederlage zu vermeiden.
Manche der Griffaktionen waren hart am Rande der Legalität. Aber der Schiedsrichter ließ die beiden Kämpfer gewähren, obwohl sich die Trainer und die Anhänger beider Mannschaften immer wieder lautstark über ungebührliche Härten des jeweils gegnerischen Ringers empörten. Doch den beiden Kämpfern auf der Matte machte die kompromisslose Härte des Gegners nichts aus. Im Gegenteil: Beide liebten den Ringkampfsport eben darum, weil er hart war. Weil er ihnen alles abverlangte. Sie scheuten sich nicht davor, den Gegner hart anzupacken, und hatten deshalb auch nichts dagegen, vom Gegner ebenso hart angepackt zu werden.
Und so machten Ali und Florian unmissverständlich klar, dass Ringen ein kompromissloser Kampfsport ist. Und doch hatte dieser gnadenlose Fight nichts Brutales. Beide Ringer bewegten sich mit einer geradezu eleganten Körperbeherrschung und so erinnerte ihre Begegnung im fließenden Geben und Nehmen von Angriff und Verteidigung, von Griff und Gegengriff an einen Tanz oder an ein faszinierendes Blitz-Schachspiel kämpfender Körper.
Runde auf Runde spektakulärer Griffaktionen im Stand und am Boden folgten. Die Punktekonten beider Ringer füllten sich, da beide voll auf Angriff kämpften und einander Punkt um Punkt abrangen. Dennoch war keiner von beiden eindeutig überlegen: In jeweils zwei Runden hatte Ali einen Punkt mehr, in zwei anderen Florian.
In den Pausen zwischen den Runden, als die schweißgebadeten und schwer atmenden Ringer erfrischt wurden und mit Handtüchern Luft zugewedelt bekamen, flehten die Trainer ihre Schützlinge an, zurückhaltender zu kämpfen, taktisch klüger zu ringen, Kräfte zu sparen, nicht so aggressiv zu ringen, um dem Gegner nicht so viele Möglichkeiten zu Kontern zu geben. Aber die Ermahnungen blieben ungehört. Auch in der fünften und letzten Runde gingen die unglaublich ausdauernden Kämpfer ebenso heftig zur Sache. Und selbst die Trainer gaben ihre nutzlosen Proteste auf. Hatten sie zu Beginn ihren jeweiligen Ringer noch geradezu verzweifelt zu taktisch kluger Zurückhaltung ermahnt, so wurden sie jetzt selbst von der Dynamik des Kampfes mitgerissen und feuerten ihre Männer begeistert an: „Ja, komm, pack ihn!“ - „Du bist der Bessere!“ - „Mach ihn fertig!“ - „Mach ihn al-le! Schmeiß ihn aus der Hal-le!“, forderte der aufgeheizte Chor der Grapplinger Fans Ali auf.
Und dann ist es geschehen: Am Ende eines unglaublich schnellen Griffwechsels, der die Kämpfer über die ganze Matte gewirbelt und die erstaunten Zuschauer beider Mannschaften in ein Wechselbad aufregender Gefühle getaucht hat, ist es Florian schließlich gelungen, Ali in einem spektakulären Griff zu fangen: Mit seinen Beinen hat er Alis rechten Oberschenkel umschlungen, während er gleichzeitig mit beiden Armen den linken Oberschenkel des Gegners packt und gegen seine Brust drückt. So zwingt der blonde Adonis mit aller Kraft die Beine des schönen Türken auseinander.
Wie ein hilfloser Käfer liegt Ali jetzt auf dem Rücken, während Florian versucht, die Schulterblätter des Gegners vollends gegen die Matte zu drücken. Ali versucht das mit aller Kraft zu verhindern, indem er einen Oberschenkel seines Gegners packt, an dem er sich festhält und hochstemmt. Aus dem Griff kann er sich nicht mehr befreien. Es gibt jetzt für ihn nur noch eine Möglichkeit, eine Schulterniederlage zu vermeiden: Er muss die Schultern des im rechten Winkel unter ihm liegenden Gegners zuerst auf die Matte drücken. Durch geschickte Gewichtsverlagerungen und brutalen Krafteinsatz hält Ali dagegen und bringt nun seinerseits den Blonden in eine immer gefährlichere Lage.
Die Muskeln der beiden jungen Athleten sind bis zum Platzen gespannt. Ihre hübschen Gesichter sind von Schmerz und Anstrengung verzerrt. Ihr angestrengtes Keuchen und Stöhnen steigert sich immer wieder zu lauten Kampfschreien, mit denen sie ihre letzten physischen und mentalen Kräfte mobilisieren. Millimeter um Millimeter nähern sich die Schultern beider Männer der Matte. Wer wird wen besiegen? Wer wird wen besiegen? Wer ist der Stärkere? Ali oder Florian?
Während die Uhr auf dem Punktezähler-Tisch sich Sekunde um Sekunde dem Ende der Kampfzeit nähert, umkreist der Schiedsrichter mit der Wange am Boden die beiden Ringer, wie ein Hund um einen eingerollten Igel kreist, um ja nicht zu verpassen, wenn die Schulterblätter eines der beiden Männer die Matte berühren sollten. Derweil sind die letzten Sekunden des Kampfes angebrochen. Die Zuschauer sind aus dem Häuschen. Die Halle tobt.
Und da, buchstäblich in letzter Sekunde, im gleichen Augenblick als der Gong das Ende der Kampfzeit verkündet, signalisiert der Schiedsrichter mit einem Pfiff und einem Handzeichen einen Schultersieg. Für die Zuschauer ist es unmöglich, eindeutig zu erkennen, welcher der beiden Ringer den entscheidenden Vorteil erkämpft hat, und so jubeln die Anhänger beider Mannschaften, weil sie überzeugt sind, dass es ihr Kämpfer ist, der den Gegner geschultert hat.
Schwer atmend gehen die beiden Ringer auseinander. Langsam stehen sie wieder auf. Schweiß strömt über ihre nackte Haut, verklebt ihre Haare und färbt die Trikots dunkel. Beide sind von der mörderischen Anstrengung des Kampfes sichtlich gezeichnet und total erschöpft. Sie haben alles gegeben. Der Schiedsrichter stellt sich zwischen die beiden Ringer, fasst ihre Handgelenke. Rechts von ihm steht Ali, links Florian. Und der Schiedsrichter hebt die Hand von ... – Ali!
Die Halle explodiert. Während auf Grapplinger Seite ein ohrenbetäubender Jubel ausbricht und die Mannschaftskameraden den siegreichen Freistilringer auf ihren Schultern durch die Halle tragen, geben die Anhänger der gegnerischen Mannschaft, die geglaubt haben, Florian wäre der Sieger, ihrem Unmut lautstark Ausdruck. Beinahe wäre es noch zu Tumulten in der Halle gekommen. Aber an dem Ergebnis ist nicht mehr zu rütteln. Der Kampf und dieser Abend haben einen eindeutigen Sieger.
Ali und Florian haben fair gegeneinander gerungen. Und Ali hat gesiegt.
“Boah, der Andere is’ echt gut.” - “Ja, voll geil, der Kampf!” So lautete der kurze, aber vollkommen zutreffende Kommentar zweier elfjähriger Ringkampf-Fans zum Freistil-Match in der 74-Kilogramm-Klasse. Der Andere war wirklich gut! Endlich hatte Ali einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Einen solchen Fight hatten die alten Ringermatten des KSV Grapplingen noch nie erlebt.
Schon bei der Vorstellung der Mannschaften zu Beginn des Abends war ein erwartungsvolles Raunen durch die Zuschauerränge gegangen, als sich die beiden Weltergewicht-Kämpfer die Hand gegeben hatten, um einander ein faires Match zu versprechen. Alle wussten, dass dieser Kampf der Höhepunkt des Abends werden würde. Und die Zuschauer wurden nicht enttäuscht.
Schon zwei Mal hintereinander hatten die Fans Ali, der fast jeden seiner Kämpfe gewann – die meisten davon mit Schultersieg –, zum besten Ringer des KSV Grapplingen gewählt. Und der 19-jährige Modellathlet war nicht nur ein hervorragender Freistilringer, er sah auch noch unverschämt gut aus! Sogar die Bürgermeisterin, die sich normalerweise nicht zu solchen Äußerungen hinreißen ließ, fragte, als sie beim Saison-Abschluss Ali zu Gesicht bekam, beeindruckt: „Wer ist denn der gut aussehende junge Mann?“
„Der gut aussehende junge Mann“ war, wie gesagt, der beste Ringer des KSV. Schon viele Vereine, sogar bedeutende Bundesligavereine, hatten versucht, den talentierten jungen Kampfsportler abzuwerben. Doch Ali hielt dem KSV Grapplingen die Treue. Und die Fans liebten ihn dafür. Die männlichen Ringkampf-Fans kamen, um Ali kämpfen und siegen zu sehen. Die weiblichen Fans kamen, um Ali einfach zu sehen, zu bewundern und anzufeuern. Und wenn er nach dem mal wieder siegreich beendeten Kampf sein Trikot herunter rollte, um seinen atemberaubenden Torso mit dem perfekten Waschbrettbauch vollends zu enthüllen, und er dabei mit einem unwiderstehlichen Lächeln ins Publikum strahlte, dann waren nicht nur seine weiblichen Fans total aus dem Häuschen.
Doch heute war der junge Türke zum ersten Mal auf einen Gegner getroffen, der es in jeder Hinsicht mit ihm aufnehmen konnte. Florian hieß der blonde Schönling, den die Gastmannschaft gegen Ali aufgestellt hatte. Wie Ali galt auch Florian als Freistil-Spezialist und war in der Saison bislang ungeschlagen. Und wie Ali sah der junge Modellathlet auffallend gut aus. Seine prachtvollen Muskeln waren perfekt definiert und von keinem Gramm Fett verdeckt. Sein aristokratisch hübsches Gesicht mit der edlen geraden Nase und den langen Wimpern über den strahlend blauen Augen blickte mit selbstsicherer Arroganz. Wie Ali liebte Florian das Kämpfen und war das Siegen gewohnt. Doch heute würde für einen der beiden Ringer die Siegesserie zum ersten Mal abbrechen.
Schließlich kam der Moment, auf den alle gewartet hatten. Vor dem letzten Kampf des Abends stand es 19 zu 18 für die Gäste. Die letzte Begegnung – Freistil, 74 Kilogramm – würde die Entscheidung bringen. Ali und Florian mussten es in einem fairen Zweikampf Mann gegen Mann untereinander ausmachen. Es war ein prachtvoller Anblick, als die beiden jugendlichen Athleten jetzt die Matte betraten. Alle Herzen in der Halle schlugen schneller. Der Kampfrichter betastete die nackte Haut der Ringer, um sicherzugehen, dass sie nicht glitschig war, und ließ sich die Taschentücher zeigen, die die beiden in ihr Trikot eingesteckt hatten. Beide blickten ernst, ja betont selbstsicher, als sie einander vor dem Kampf mit Handschlag grüßten. Ein Pfiff des Schiedsrichters. Der Kampf begann!
Voll konzentriert und in tiefer Kampfstellung belauerten die Ringer einander. Sie blickten einander dabei tief in die Augen, so als könnten sie darin die Aktionen des Gegners im Voraus ablesen. Auf beiden Gesichtern lag ein maliziöses Lächeln. Sie freuten sich sichtlich auf diesen Kampf, obwohl sie beide instinktiv spürten, dass es ihr härtester werden würde. Nein, sie freuten sich auf den Fight, gerade WEIL sie spürten, dass es ihr härtester sein würde! Endlich konnten sie einmal zeigen, was sie wirklich drauf hatten! Beide wussten, sie würden ihr Bestes geben müssen, um gegen diesen Gegner bestehen zu können.
In den ersten Sekunden der Begegnung waren die Zuschauer aber eher ein wenig enttäuscht. Fast schien es, als seien die beiden übervorsichtig, als sie einander lange mit fließend geschmeidigen Bewegungen umkreisten, belauerten und austesteten, aber keiner von beiden einen Angriff zu wagen schien. Doch schon bald wurden die Erwartungen der Fans noch übertroffen.
Ein erstes Abtasten mit den Fingerspitzen und dann ging es voll zur Sache. Ali und Florian packten einander an den Oberarmen und im Nacken, und es begann ein schneller, gnadenloser Standkampf. Sie gingen ran, in engem Kontakt Stirn an Stirn, Wange an Wange, während ihre Arme immer wieder neue Griffansätze suchten. Ihre Bewegungen waren schnell, aber sicher, konzentriert und wohl koordiniert. Beide waren erfahrene Ringkämpfer, die genau wussten, was sie taten. Die beiden gingen immer wieder auseinander, versuchten neue Ansätze, neue Finten und Angriffe.
Dabei lag immer noch der Anflug eines Lächelns auf ihren hübschen Gesichtern, die durch den Ausdruck höchster Anspannung und konzentrierter Kampfeslust auf faszinierende Weise sogar noch hübscher wirkten als sonst. Denn dieses Spiel, das ihre vollste Aufmerksamkeit, Konzentration und Reaktionsschnelligkeit erforderte, machte ihnen Spaß. Beide ließen nichts unversucht: Blitzschnelle Ansätze zu Beinaushebern, Fußfegern, Aushebern, Schulterwürfen, Hüftschwüngen. Doch der jeweils andere wehrte die Angriffe mit ebenso schnellen Reaktionen gekonnt ab.
Einmal gelang es Florian, mit einer gesprungen Beinschere an Alis Schenkel den Gegner zu Fall zu bringen. Kurz waren beide Kämpfer am Boden, rangen ein, zwei Sekunden lang nur mit ihren Beinen, standen dann wieder auf. Doch hatte Florian dabei eines von Alis Beinen zu fassen gekriegt. Aber der kampfgewandte Türke zog sich geschickt aus der Affäre, indem er sein vom Gegner gepacktes Bein um eines von dessen Beinen wickelte und so dessen Kontrolle entzog. So hüpften die beiden Männer jetzt einen Moment lang über die Matte, sich mit den Armen um den Oberkörper fassend, während jeweils ein Bein der beiden ineinander verflochten war. Dann gingen sie wieder auseinander und der Standkampf ging weiter, mal in kraftvoll enger Umklammerung, dann wieder als nervenaufreibendes „Fangen“-Spiel fast ohne Körperkontakt. Sie versuchten einander zu werfen, den Anderen mit Tricks und Taktik von der Matte zu drängen, um so dem Gegner Punkte abzuringen.
Doch dann schien eine der Angriffstechniken erfolgreich zu sein: Um den Bruchteil einer Sekunde war Ali schneller als Florian und hatte dessen Knöchel zu packen bekommen. Mit einem kraftvollen Ruck zog er den Fuß des anderen nach oben, versuchte, den nur noch auf einem Bein stehenden Gegner zu werfen. Doch mit viel Geschick und Gleichgewichtsgefühl gelang es Florian, stehen zu bleiben.
Immer höher hob Ali das Bein des Gegners, bis er es sich schließlich auf die Schulter legen konnte. Jetzt versuchte er, Florians verbleibendes Standbein mit einem Fußfeger wegzukicken und den Gegner so vollends auf die Matte zu schicken. Aber der unglaublich bewegliche und reaktionssichere Blonde hüpfte weiter auf einem Bein, wich allen Angriffen seines Gegners aus und war nicht zu Fall zu bringen. Ali war sichtlich frustriert, dass ihn sein Gegner derart „vorführte“. Jeden Anderen hätte er schon längst zu Boden werfen können. Florian erkannte aber, dass er früher oder später doch fallen musste, und dass Angriff in dieser Situation die beste Verteidigung war. Und so hakte er seinen Fuß, der neben dem Kopf des Gegners auf dessen Schulter lag, hinter Alis Nacken ein und mit einer kraftvollen Verbindung aus Sprung, Fall und Beinschwung ließ er sich spektakulär fallen und riss seinen Gegner dabei mit dem Fuß mit sich zu Boden. Die Zuschauer glaubten kaum, was sie gerade gesehen hatten. Doch sie hatten nicht viel Zeit, zu staunen, denn sogleich ging der Kampf am Boden weiter ...
Ringerohr (41)
03/01/2019 10:29super Geschichte
und klingt wie echtes Freistilringen. Da hat ein echter Ringer die Schönheit dieses Sports beschrieben !
borbaboy (0)
02/08/2012 20:11Sofort griffen die Ringer einander an und wirbelten, ineinander verschlungen, über die Matte. War schon der Standkampf spannend und auf höchstem Niveau, so war der nun entbrennende Bodenkampf schlicht sensationell. Die beiden Gegner schenkten sich nichts. Beide schienen keinerlei Wert auf taktische Zurückhaltung zu legen, sondern rangen voll aggressiv, griffen ständig an und konterten einander aus. Die beiden jungen Athleten versuchten einander mit Kraft, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Einfallsreichtum zu überwältigen.
Ali und Florian lieferten sich im wahrsten Sinne des Wortes einen “Kampf auf Biegen und Brechen”: Mit einer Gelenkigkeit, die man eigentlich nur chinesischen Akrobatinnen zugetraut hätte, waren die beiden muskelstarken Teenager ineinander verknotet und verdrehten einander Arme, Beine und Leiber, im Bemühen, den Gegner auf die Schultern zu zwingen, oder um die eigene Schulterniederlage zu vermeiden.
Manche der Griffaktionen waren hart am Rande der Legalität. Aber der Schiedsrichter ließ die beiden Kämpfer gewähren, obwohl sich die Trainer und die Anhänger beider Mannschaften immer wieder lautstark über ungebührliche Härten des jeweils gegnerischen Ringers empörten. Doch den beiden Kämpfern auf der Matte machte die kompromisslose Härte des Gegners nichts aus. Im Gegenteil: Beide liebten den Ringkampfsport eben darum, weil er hart war. Weil er ihnen alles abverlangte. Sie scheuten sich nicht davor, den Gegner hart anzupacken, und hatten deshalb auch nichts dagegen, vom Gegner ebenso hart angepackt zu werden.
Und so machten Ali und Florian unmissverständlich klar, dass Ringen ein kompromissloser Kampfsport ist. Und doch hatte dieser gnadenlose Fight nichts Brutales. Beide Ringer bewegten sich mit einer geradezu eleganten Körperbeherrschung und so erinnerte ihre Begegnung im fließenden Geben und Nehmen von Angriff und Verteidigung, von Griff und Gegengriff an einen Tanz oder an ein faszinierendes Blitz-Schachspiel kämpfender Körper.
Runde auf Runde spektakulärer Griffaktionen im Stand und am Boden folgten. Die Punktekonten beider Ringer füllten sich, da beide voll auf Angriff kämpften und einander Punkt um Punkt abrangen. Dennoch war keiner von beiden eindeutig überlegen: In jeweils zwei Runden hatte Ali einen Punkt mehr, in zwei anderen Florian.
In den Pausen zwischen den Runden, als die schweißgebadeten und schwer atmenden Ringer erfrischt wurden und mit Handtüchern Luft zugewedelt bekamen, flehten die Trainer ihre Schützlinge an, zurückhaltender zu kämpfen, taktisch klüger zu ringen, Kräfte zu sparen, nicht so aggressiv zu ringen, um dem Gegner nicht so viele Möglichkeiten zu Kontern zu geben. Aber die Ermahnungen blieben ungehört. Auch in der fünften und letzten Runde gingen die unglaublich ausdauernden Kämpfer ebenso heftig zur Sache. Und selbst die Trainer gaben ihre nutzlosen Proteste auf. Hatten sie zu Beginn ihren jeweiligen Ringer noch geradezu verzweifelt zu taktisch kluger Zurückhaltung ermahnt, so wurden sie jetzt selbst von der Dynamik des Kampfes mitgerissen und feuerten ihre Männer begeistert an: „Ja, komm, pack ihn!“ - „Du bist der Bessere!“ - „Mach ihn fertig!“ - „Mach ihn al-le! Schmeiß ihn aus der Hal-le!“, forderte der aufgeheizte Chor der Grapplinger Fans Ali auf.
Und dann ist es geschehen: Am Ende eines unglaublich schnellen Griffwechsels, der die Kämpfer über die ganze Matte gewirbelt und die erstaunten Zuschauer beider Mannschaften in ein Wechselbad aufregender Gefühle getaucht hat, ist es Florian schließlich gelungen, Ali in einem spektakulären Griff zu fangen: Mit seinen Beinen hat er Alis rechten Oberschenkel umschlungen, während er gleichzeitig mit beiden Armen den linken Oberschenkel des Gegners packt und gegen seine Brust drückt. So zwingt der blonde Adonis mit aller Kraft die Beine des schönen Türken auseinander.
Wie ein hilfloser Käfer liegt Ali jetzt auf dem Rücken, während Florian versucht, die Schulterblätter des Gegners vollends gegen die Matte zu drücken. Ali versucht das mit aller Kraft zu verhindern, indem er einen Oberschenkel seines Gegners packt, an dem er sich festhält und hochstemmt. Aus dem Griff kann er sich nicht mehr befreien. Es gibt jetzt für ihn nur noch eine Möglichkeit, eine Schulterniederlage zu vermeiden: Er muss die Schultern des im rechten Winkel unter ihm liegenden Gegners zuerst auf die Matte drücken. Durch geschickte Gewichtsverlagerungen und brutalen Krafteinsatz hält Ali dagegen und bringt nun seinerseits den Blonden in eine immer gefährlichere Lage.
Die Muskeln der beiden jungen Athleten sind bis zum Platzen gespannt. Ihre hübschen Gesichter sind von Schmerz und Anstrengung verzerrt. Ihr angestrengtes Keuchen und Stöhnen steigert sich immer wieder zu lauten Kampfschreien, mit denen sie ihre letzten physischen und mentalen Kräfte mobilisieren. Millimeter um Millimeter nähern sich die Schultern beider Männer der Matte. Wer wird wen besiegen? Wer wird wen besiegen? Wer ist der Stärkere? Ali oder Florian?
Während die Uhr auf dem Punktezähler-Tisch sich Sekunde um Sekunde dem Ende der Kampfzeit nähert, umkreist der Schiedsrichter mit der Wange am Boden die beiden Ringer, wie ein Hund um einen eingerollten Igel kreist, um ja nicht zu verpassen, wenn die Schulterblätter eines der beiden Männer die Matte berühren sollten. Derweil sind die letzten Sekunden des Kampfes angebrochen. Die Zuschauer sind aus dem Häuschen. Die Halle tobt.
Und da, buchstäblich in letzter Sekunde, im gleichen Augenblick als der Gong das Ende der Kampfzeit verkündet, signalisiert der Schiedsrichter mit einem Pfiff und einem Handzeichen einen Schultersieg. Für die Zuschauer ist es unmöglich, eindeutig zu erkennen, welcher der beiden Ringer den entscheidenden Vorteil erkämpft hat, und so jubeln die Anhänger beider Mannschaften, weil sie überzeugt sind, dass es ihr Kämpfer ist, der den Gegner geschultert hat.
Schwer atmend gehen die beiden Ringer auseinander. Langsam stehen sie wieder auf. Schweiß strömt über ihre nackte Haut, verklebt ihre Haare und färbt die Trikots dunkel. Beide sind von der mörderischen Anstrengung des Kampfes sichtlich gezeichnet und total erschöpft. Sie haben alles gegeben. Der Schiedsrichter stellt sich zwischen die beiden Ringer, fasst ihre Handgelenke. Rechts von ihm steht Ali, links Florian. Und der Schiedsrichter hebt die Hand von ... – Ali!
Die Halle explodiert. Während auf Grapplinger Seite ein ohrenbetäubender Jubel ausbricht und die Mannschaftskameraden den siegreichen Freistilringer auf ihren Schultern durch die Halle tragen, geben die Anhänger der gegnerischen Mannschaft, die geglaubt haben, Florian wäre der Sieger, ihrem Unmut lautstark Ausdruck. Beinahe wäre es noch zu Tumulten in der Halle gekommen. Aber an dem Ergebnis ist nicht mehr zu rütteln. Der Kampf und dieser Abend haben einen eindeutigen Sieger.
Ali und Florian haben fair gegeneinander gerungen. Und Ali hat gesiegt.
borbaboy (0)
22/07/2012 14:35= Ali vs. Florian =
“Boah, der Andere is’ echt gut.” - “Ja, voll geil, der Kampf!” So lautete der kurze, aber vollkommen zutreffende Kommentar zweier elfjähriger Ringkampf-Fans zum Freistil-Match in der 74-Kilogramm-Klasse. Der Andere war wirklich gut! Endlich hatte Ali einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Einen solchen Fight hatten die alten Ringermatten des KSV Grapplingen noch nie erlebt.
Schon bei der Vorstellung der Mannschaften zu Beginn des Abends war ein erwartungsvolles Raunen durch die Zuschauerränge gegangen, als sich die beiden Weltergewicht-Kämpfer die Hand gegeben hatten, um einander ein faires Match zu versprechen. Alle wussten, dass dieser Kampf der Höhepunkt des Abends werden würde. Und die Zuschauer wurden nicht enttäuscht.
Schon zwei Mal hintereinander hatten die Fans Ali, der fast jeden seiner Kämpfe gewann – die meisten davon mit Schultersieg –, zum besten Ringer des KSV Grapplingen gewählt. Und der 19-jährige Modellathlet war nicht nur ein hervorragender Freistilringer, er sah auch noch unverschämt gut aus! Sogar die Bürgermeisterin, die sich normalerweise nicht zu solchen Äußerungen hinreißen ließ, fragte, als sie beim Saison-Abschluss Ali zu Gesicht bekam, beeindruckt: „Wer ist denn der gut aussehende junge Mann?“
„Der gut aussehende junge Mann“ war, wie gesagt, der beste Ringer des KSV. Schon viele Vereine, sogar bedeutende Bundesligavereine, hatten versucht, den talentierten jungen Kampfsportler abzuwerben. Doch Ali hielt dem KSV Grapplingen die Treue. Und die Fans liebten ihn dafür. Die männlichen Ringkampf-Fans kamen, um Ali kämpfen und siegen zu sehen. Die weiblichen Fans kamen, um Ali einfach zu sehen, zu bewundern und anzufeuern. Und wenn er nach dem mal wieder siegreich beendeten Kampf sein Trikot herunter rollte, um seinen atemberaubenden Torso mit dem perfekten Waschbrettbauch vollends zu enthüllen, und er dabei mit einem unwiderstehlichen Lächeln ins Publikum strahlte, dann waren nicht nur seine weiblichen Fans total aus dem Häuschen.
Doch heute war der junge Türke zum ersten Mal auf einen Gegner getroffen, der es in jeder Hinsicht mit ihm aufnehmen konnte. Florian hieß der blonde Schönling, den die Gastmannschaft gegen Ali aufgestellt hatte. Wie Ali galt auch Florian als Freistil-Spezialist und war in der Saison bislang ungeschlagen. Und wie Ali sah der junge Modellathlet auffallend gut aus. Seine prachtvollen Muskeln waren perfekt definiert und von keinem Gramm Fett verdeckt. Sein aristokratisch hübsches Gesicht mit der edlen geraden Nase und den langen Wimpern über den strahlend blauen Augen blickte mit selbstsicherer Arroganz. Wie Ali liebte Florian das Kämpfen und war das Siegen gewohnt. Doch heute würde für einen der beiden Ringer die Siegesserie zum ersten Mal abbrechen.
Schließlich kam der Moment, auf den alle gewartet hatten. Vor dem letzten Kampf des Abends stand es 19 zu 18 für die Gäste. Die letzte Begegnung – Freistil, 74 Kilogramm – würde die Entscheidung bringen. Ali und Florian mussten es in einem fairen Zweikampf Mann gegen Mann untereinander ausmachen. Es war ein prachtvoller Anblick, als die beiden jugendlichen Athleten jetzt die Matte betraten. Alle Herzen in der Halle schlugen schneller. Der Kampfrichter betastete die nackte Haut der Ringer, um sicherzugehen, dass sie nicht glitschig war, und ließ sich die Taschentücher zeigen, die die beiden in ihr Trikot eingesteckt hatten. Beide blickten ernst, ja betont selbstsicher, als sie einander vor dem Kampf mit Handschlag grüßten. Ein Pfiff des Schiedsrichters. Der Kampf begann!
Voll konzentriert und in tiefer Kampfstellung belauerten die Ringer einander. Sie blickten einander dabei tief in die Augen, so als könnten sie darin die Aktionen des Gegners im Voraus ablesen. Auf beiden Gesichtern lag ein maliziöses Lächeln. Sie freuten sich sichtlich auf diesen Kampf, obwohl sie beide instinktiv spürten, dass es ihr härtester werden würde. Nein, sie freuten sich auf den Fight, gerade WEIL sie spürten, dass es ihr härtester sein würde! Endlich konnten sie einmal zeigen, was sie wirklich drauf hatten! Beide wussten, sie würden ihr Bestes geben müssen, um gegen diesen Gegner bestehen zu können.
In den ersten Sekunden der Begegnung waren die Zuschauer aber eher ein wenig enttäuscht. Fast schien es, als seien die beiden übervorsichtig, als sie einander lange mit fließend geschmeidigen Bewegungen umkreisten, belauerten und austesteten, aber keiner von beiden einen Angriff zu wagen schien. Doch schon bald wurden die Erwartungen der Fans noch übertroffen.
Ein erstes Abtasten mit den Fingerspitzen und dann ging es voll zur Sache. Ali und Florian packten einander an den Oberarmen und im Nacken, und es begann ein schneller, gnadenloser Standkampf. Sie gingen ran, in engem Kontakt Stirn an Stirn, Wange an Wange, während ihre Arme immer wieder neue Griffansätze suchten. Ihre Bewegungen waren schnell, aber sicher, konzentriert und wohl koordiniert. Beide waren erfahrene Ringkämpfer, die genau wussten, was sie taten. Die beiden gingen immer wieder auseinander, versuchten neue Ansätze, neue Finten und Angriffe.
Dabei lag immer noch der Anflug eines Lächelns auf ihren hübschen Gesichtern, die durch den Ausdruck höchster Anspannung und konzentrierter Kampfeslust auf faszinierende Weise sogar noch hübscher wirkten als sonst. Denn dieses Spiel, das ihre vollste Aufmerksamkeit, Konzentration und Reaktionsschnelligkeit erforderte, machte ihnen Spaß. Beide ließen nichts unversucht: Blitzschnelle Ansätze zu Beinaushebern, Fußfegern, Aushebern, Schulterwürfen, Hüftschwüngen. Doch der jeweils andere wehrte die Angriffe mit ebenso schnellen Reaktionen gekonnt ab.
Einmal gelang es Florian, mit einer gesprungen Beinschere an Alis Schenkel den Gegner zu Fall zu bringen. Kurz waren beide Kämpfer am Boden, rangen ein, zwei Sekunden lang nur mit ihren Beinen, standen dann wieder auf. Doch hatte Florian dabei eines von Alis Beinen zu fassen gekriegt. Aber der kampfgewandte Türke zog sich geschickt aus der Affäre, indem er sein vom Gegner gepacktes Bein um eines von dessen Beinen wickelte und so dessen Kontrolle entzog. So hüpften die beiden Männer jetzt einen Moment lang über die Matte, sich mit den Armen um den Oberkörper fassend, während jeweils ein Bein der beiden ineinander verflochten war. Dann gingen sie wieder auseinander und der Standkampf ging weiter, mal in kraftvoll enger Umklammerung, dann wieder als nervenaufreibendes „Fangen“-Spiel fast ohne Körperkontakt. Sie versuchten einander zu werfen, den Anderen mit Tricks und Taktik von der Matte zu drängen, um so dem Gegner Punkte abzuringen.
Doch dann schien eine der Angriffstechniken erfolgreich zu sein: Um den Bruchteil einer Sekunde war Ali schneller als Florian und hatte dessen Knöchel zu packen bekommen. Mit einem kraftvollen Ruck zog er den Fuß des anderen nach oben, versuchte, den nur noch auf einem Bein stehenden Gegner zu werfen. Doch mit viel Geschick und Gleichgewichtsgefühl gelang es Florian, stehen zu bleiben.
Immer höher hob Ali das Bein des Gegners, bis er es sich schließlich auf die Schulter legen konnte. Jetzt versuchte er, Florians verbleibendes Standbein mit einem Fußfeger wegzukicken und den Gegner so vollends auf die Matte zu schicken. Aber der unglaublich bewegliche und reaktionssichere Blonde hüpfte weiter auf einem Bein, wich allen Angriffen seines Gegners aus und war nicht zu Fall zu bringen. Ali war sichtlich frustriert, dass ihn sein Gegner derart „vorführte“. Jeden Anderen hätte er schon längst zu Boden werfen können. Florian erkannte aber, dass er früher oder später doch fallen musste, und dass Angriff in dieser Situation die beste Verteidigung war. Und so hakte er seinen Fuß, der neben dem Kopf des Gegners auf dessen Schulter lag, hinter Alis Nacken ein und mit einer kraftvollen Verbindung aus Sprung, Fall und Beinschwung ließ er sich spektakulär fallen und riss seinen Gegner dabei mit dem Fuß mit sich zu Boden. Die Zuschauer glaubten kaum, was sie gerade gesehen hatten. Doch sie hatten nicht viel Zeit, zu staunen, denn sogleich ging der Kampf am Boden weiter ...
Ende des ersten Teils